Mystische Geschichten in und über Irland |
Über die Geschichten in den Geschichten |
Meine Zeit in Irland
Ab 1993 lebte der Erzähler etwa 10 Jahre in Kiltimagh, einer kleinen Stadt im Westen Irlands. Das ist auch der Zeitraum, in dem die Geschichten der Buchreihe erzählt werden. Die Buchreihe besteht bisher aus 2 Bänden, die in deutscher und englischer Sprache vorliegen. Es geht nicht um das Leben des Erzählers in Irland, auch wenn einige Episoden an realen Orten spielen. In der Regel haben die Geschichten einen fiktiven Inhalt, auch wenn der Anlass, sie zu schreiben, durchaus reale Hintergründe haben kann. Man kann diese Zeit als Brücke zwischen dem alten und dem modernen Irland sehen. Das moderne Irland ist nicht unbedingt schlechter, in vielen Dingen sogar besser als das alte. Aber es ist vor allem anders. Der Erzähler hat Irland in dieser Übergangszeit kennen gelernt. Er hatte viel über das alte Irland gehört. Dieses alte, von Armut geprägte Irland spiegelt sich wohl eher in Heinrich Bölls ‚Irischem Tagebuch‘ von 1957 - aus deutscher Sicht - oder aus irischer Sicht in ‚Angela 's Ashes‘ des irisch-amerikanischen Autors Frank McCourt von 1996.
Zu der Zeit der Erzählungen in dieser Buchreihe war das Land bereits Mitglied der EU und auf dem Weg zum Wirtschaftswunderland der 90er Jahre. Der Begriff ‚keltischer Tiger‘ wurde geprägt und in den Köpfen der Menschen entwickelte sich die Vorstellung von unbegrenztem Wachstum. Einen ersten Dämpfer erlebten die Menschen mit dem Absturz der Telekom-Aktie 2001. Viele hatten Häuser, Grundstücke und Immobilien verkauft, die sie jahrelang wie Sauerbier zu Dumpingpreisen angeboten hatten. Ein bis dahin unbekannter Bauboom ließ den Wert ihrer Immobilien explodieren und spülte Geld in die Kassen der ehemals Armen. Viele witterten enorme Renditemöglichkeiten im Kauf von Telekom-Aktien. Sie verkauften ihr Land unter Wert, um für das große Glück liquide zu sein. Viele fielen zurück in die Armut, aus der sie gekommen waren. Nur besaßen sie nicht einmal mehr Land. Familien und Freundschaften zerbrachen. Das hat der Erzähler leider auch miterleben müssen. Er ist also weit davon entfernt, dieses Land zu romantisieren. Mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 kam die Erfahrung der Endlichkeit endgültig zurück. Zu diesem Zeitpunkt lebte er nicht mehr in Irland, aber natürlich besucht er ab und zu seine alte Heimatstadt Kiltimagh. Der Traum vom Wohlstand ist für viele ausgeträumt.
In seinen Geschichten vermischt der Erzähler Realität und Fiktion. Es geht ihm um das traditionelle Geschichtenerzählen aus alten Zeiten in diesem bemerkenswerten Land. Die Geschichten, die er aufgeschrieben hat, sind unter anderem in seiner Zeit in Irland entstanden. Ursprünglich dachte er nicht daran, sie zu veröffentlichen. Es war die reine Lust am Erzählen, die ihn beflügelte, sie aufzuschreiben. Die Idee entstand bei einem Erzählfestival in seiner Stadt, das damals einmal im Jahr stattfand. Die Zeit der Geschichtenerzähler war eigentlich vorbei, längst hatte das Fernsehen die Funktion der Unterhaltung übernommen, Smartphones mussten erst noch erfunden werden. Aber einmal im Jahr lebte diese Tradition wieder auf. Die Geschichtenerzähler zogen von Ort zu Ort, um ihre Kunst zu präsentieren und ihr Können unter Beweis zu stellen. Der Erzähler hat es ein wenig bedauert, dass er die Tradition der Geschichtenerzähler nicht mehr wirklich miterlebt hatte. Aber er hatte viel darüber von irischen Freunden gehört, die noch mit dieser Tradition aufgewachsen sind. Vor allem an den langen Winterabenden traf man sich in den Pubs, um den Geschichtenerzählern zu lauschen, die es fast in jedem Dorf gab. Nicht selten zogen sich die Geschichten über mehrere Abende hin. Viele konnten den nächsten Abend kaum erwarten, um am knisternden Torffeuer der Fortsetzung einer Geschichte vom Vorabend zu lauschen. Die Erzähler waren die Medien der Vergangenheit. Oft begannen die Geschichten mit „Zu Großvaters Zeiten...“. Nicht selten reichten die Geschichten weit in die Vergangenheit zurück und handelten von Ereignissen, die sich angeblich vor Generationen zugetragen hatten. Wahres und Geheimnisvolles wechselten sich ab. Fast immer hatten die "wahren" Geschichten auch ein Geheimnis. Kaum irgendwo war Glauben an das Übernatürliche so lebendig wie in Irland. In Gesprächen mit Freunden hörte er oft von Geistererscheinungen, die mit einer solchen Ernsthaftigkeit erzählt wurden, dass man kaum an der Wahrheit der Erlebnisse zweifeln konnte. Auch wenn der Erzähler damals bei weniger ernsthaften Geschichten oft den Verdacht hatte, dass man ihn auf den Arm nehme, glaubt er heute, dass die Menschen in Irland mit solchen Dingen nicht scherzen. Vielleicht kann man das daran ermessen, dass die Berücksichtigung von Elfengebieten Teil der irischen Straßen- und Bauplanung war. Man verhielt sich so, dass man es sich mit den Elfen nicht verscherzte. In Irland nahm man auf sie Rücksicht, und auch wenn man als Nicht-Ire in Irland bauen wollte, war es ratsam, dies zu tun. Der Glaube an das Übernatürliche war in Irland tief verwurzelt. So war es nur natürlich, dass er sich auch in den Geschichten der Iren widerspiegelt. Wenn man also Geschichten in oder über Irland erzählt, dann sollten sie neben dem Alltäglichen auch eine mehr oder weniger große Portion Mystik enthalten. Am besten, man lässt sich von der Magie der Geschichten, die in Irland erzählt werden, anstecken. Nicht alles im Leben lässt sich mit Logik erfassen, so wie sich auch Geschehnisse im Nachhinein nicht immer eindeutig mit dem so genannten „gesunden Menschenverstand“ erklären lassen. Eine irische Geschichte hat am besten beides, das Natürliche und das Mystische. Es ist dann dem Leser überlassen, welche Interpretation er zulässt. Den Erzähler persönlich fesseln mystische Deutungen von Geschichten mehr und sie erzeugen mehr „Kribbeln“ als die banale Realität, von der man im Alltag schon genug hat.
In seiner irischen Zeit gab es in der kleinen Stadt noch zwei Pubs, in denen diese Tradition des Geschichtenerzählens - zumindest zeitweise - gepflegt wurde. In diesen Pubs ereigneten sich manchmal auch die Geschichten des Erzählers selbst. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm Joyce`s Bar, in der flackernde Torffeuer immer wieder zum Erzählen animierten. Die unvergessliche alte Landlady Anne Joe hat einen festen Platz in der Erinnerung des Erzählers, sie ist einige Male Protagonistin in den Erzählungen. Als sie starb, konnte er sich noch von ihr verabschieden. Sie starb mit ihrem typischen Lächeln und den Worten:
„Ich gehe jetzt nach Hause.“
Vor etwa drei Jahren erinnerte sich jemand - ins Deutsche übersetzt - in etwa so an Joyce's Bar:
„JOYCE'S war unsere „Feenfestung“, immer lag Magie in der Luft, von der Dämmerung bis zum Morgengrauen, Seelennahrung ... lange Geschichten und Märchen, meine Vision vom Himmel...“.
Besser kann man es nicht ausdrücken.
Die erste Geschichte in diesem Band entsteht in einem meiner beiden Lieblingspubs, Lil's Bar, an einem knisternden Torffeuer. Wo sonst? Als einzigem Gast zu dieser Tageszeit wird dem Erzähler gestattet, eine Geschichte am Stammtisch zu schreiben. Es entsteht die Titelgeschichte. Sie handelt von einer seltsamen Begegnung mit einem alten Mann, der einen ebenso seltsamen Wunsch äußert. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass der Erzähler sich selbst begegnet.
Als er die Geschichte abgeschlossen hat, hat sich das Pub mit Gästen weiter gefüllt und die Stammtischfreunde laden ihn ein, weiter am Stammtisch zu bleiben, um die niedergeschriebene Geschichte zu erzählen. Im Anschluss diskutieren die Männer am Stammtisch und erraten schnell die Bedeutung der Geschichte. Da ihnen die Geschichte gefallen hat, fragen sie den Erzähler, ob er weitere Geschichten erzählen kann. Er erzählt die zweite Geschichte über einen seltsamen Feuervogel, der zu Beginn der Zeit das gesamte Bewusstsein der Welt in sich trägt.
Die Idee zur nächsten Geschichte entstand in Joyce’s Bar, an einem der Tage eines Erzählfestivals, dem ersten des Erzählers in diesem Land. Auch die Geschichte von Saóirse und Méabh beginnt an einem Wochenende während eines Storyteller-Wettbewerbs. Sie erzählt vom Nomadenmädchen Saóirse, das gerade sechzehn Jahre alt geworden ist. Sie darf am ersten Tag des Festivals zum ersten Mal unbegleitet Erfahrungen in der kleinen Stadt Kiltimagh sammeln. Es wird eine Zeit voller Geschichten, und Saóirse lernt die Liebe kennen. Über all dem wacht die weise alte Méabh, die dem Mädchen den Rat gibt, nur auf ihr Herz zu hören. Das ist nicht so einfach und infolgedessen trifft sie am Ende eine schwere und schmerzliche Entscheidung
Der Erzähler spricht aus der Perspektive von Saóirse, die von Méabh so ausgestattet wird, dass sie nicht als Nomadenmädchen erkannt wird.
In Irland nennt man die Nomaden Tinker oder Traveller, das fahrende Volk. Die Nomaden selbst bevorzugen die Bezeichnung Traveller und nennen sich Pavee. Die Pavee sind ethnisch selbst Iren und wurden historisch durch sozioökonomische Prozesse von der Mehrheitsbevölkerung ausgeschlossen. In der Zeit vor den modernen Medien spielten sie eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten, Geschichten und Musik. Auch der Irish Folk geht zu einem großen Teil auf sie zurück. Ohne sie wäre die irische Kultur nicht das, was sie heute ist.
Die Pavee lebten in großen Familienverbänden, meist in Wagenburgen. In der irischen Gesellschaft gab es tiefe Vorurteile gegen diesen Teil ihres Volkes. Die kleine Episode in einem Laden aus der Sicht Saóirses zu Beginn der Erzählung hat der Autor auch so erlebt, nur dass er auf der anderen Seite stand, in diesem Laden.
Die alte Méabh ist die Big Mama in ihrem Familienverband und war auch bei den anderen Familien der Pavees hoch angesehen. Nicht nur für Saóirse war sie ein absolutes Vorbild. Man nennt sie die ‚alte Méabh‘, wobei ‚alt‘ weniger ihre Lebensjahre als vielmehr ihre Weisheit meint. Ihre Autorität beruht nicht auf Strenge, sondern auf ihrer gütigen Weisheit.
In der vierten Geschichte fährt ein übermüdeter Autofahrer über die teils engen Straßen in Richtung Westen nach Galway. Da er einzuschlafen droht verlässt er die Straße um auszuruhen. In der Dunkelheit klopft jemand an die Heckscheibe und bittet im akzentfreien Deutsch darum, mitfahren zu dürfen. Während der Fahrt erkennt er in dem Zugestiegenen einen ehemaligen besten Jugendfreund, und es beginnt eine Zeitreise zurück in eine verdrängte Vergangenheit.
Die fünfte und letzte Erzählung schließlich handelt von einem Geschichtenerzähler, der das Erzählen verlernt hat.
Er verbringt eine Nacht im früheren Joyce’s und findet sich unversehens in die Rolle eines Scharfrichters genötigt. Wie durch Zauberhand findet er seine Fähigkeit zum Geschichtenerzählen wieder. Warten wir ab, wie viel Mystik und Magie wirklich darin steckt.
Im 2. Band der Reihe lässt der Autor wieder fiktive Erzähler zu Wort kommen. Real ist nur die Art der Erzählung, wie er sie erlebt hat; zum Teil auch der Hintergrund der erzählten Geschichten. Der Autor überlässt es dem aufmerksamen Leser zu beurteilen, welche Geschichten einen realen Hintergrund haben könnten. Aber Vorsicht, man kann sich leicht täuschen.
In der ersten Geschichte findet sich der Erzähler in der Todeszelle wieder. Er soll ein Elternmörder sein.
In der Titelgeschichte wagt sich der Erzähler eines Tages trotz Höhenangst auf den legendären One Man’s Pass an den Klippen des Slieve League. Ausgerechnet an einer besonders engen Stelle, an der keine zwei Menschen aneinander vorbeikommen, hat er eine gefährliche Begegnung mit einem Fremden, der sich hier oben sicher bewegt.
Keiner will zurückweichen, aber hat er eine Wahl? Da macht der Fremde einen überraschenden Vorschlag.
In der dritten Geschichte nimmt der Erzähler in Kinnegad zu später Stunde bei Dunkelheit und stürmischem Wetter eine alte Anhalterin mit nach Moate und wird von ihr in einen Strudel unheimlicher Geschichten hineingezogen, die bis ins sechszehnte Jahrhundert zurückreichen. Ist er etwa in die Nacht des ewigen Blutgerichts geraten, einem Fluch aus der Vergangenheit? In dieser Nacht holt sich der Teufel alle 70 Jahre einen Reisenden durch die Hand einer alten Frau, die ihm unterwegs zusteigt.
Anschließend gibt der Autor einem Geschichtenerzähler aus Donegal das Wort. Er erzählt vier Geschichten:
Wie wird man ein Traumdesigner? Die erste Geschichte gibt Auskunft darüber. Hier hat sich der Autor ein wenig bei Novalis bedient.
In der zweiten Geschichte erzählt er von einem Mann, der sich für einen Augenblick der Nichtigkeit seiner Eitelkeit bewusst geworden sein müsste.
Die dritte Geschichte handelt von einem Herrscher, dem Machtgier und Eitelkeit zum Verhängnis werden.
Die letzte Geschichte handelt von Sucht, Betrug und Selbsttäuschung.
In der letzten Geschichte lässt es der Autor so richtig krachen. Sie ist garantiert ohne tieferen Sinn. Wie sagte Albert Einstein so treffend:
Selbst das Sinnlose hat noch einen losen Sinn.